Duygu Uçkan und Nevin Çetin, Hacettepe Universität Ankara, Türkei
Das Engraftment Syndrom (ES) ist eine frühe Komplikation der hämatopoietischen Stammzelltransplantation
(HSZT), das mit Anstieg der Spender-Granulozyten auftreten kann und durch die plötzliche
Ausschüttung von Zytokinen im Rahmen eines stabilen Transplantatanwachsens (Engraftment)
bedingt ist. Diese Zytokin-Sekretion ähnelt dem Bild einer übersteigerten Entzündungsreaktion
und wurde sowohl bei der autologen als auch bei der allogenen Transplantation beschrieben.
Klinisch-diagnostische Merkmale: Sie schließen das Auftreten von
zwei oder mehr der folgenden Symptome ein, die zumeist 96 Stunden vor Anstieg der
neutrophilen Granulozyten auftreten:
- Fieber (>38,0-38,5 °C) unbekannter Ursache (FUO), ohne Nachweis eines Infektionserregers oder eines anderen Grundes.
- Erythematöser Hautausschlag (in der Regel >25 % der Hautoberfläche) ohne Hinweis auf eine Arzneimittelreaktion oder virale Infektion.
- Gewichtszunahme von mehr als 2,5 – 5 % gegenüber dem Aufnahmegewicht und Albumin-Abfall auf 90 % des Prätransplantationswertes.
- Pulmonale Symptomatik mit Dyspnoe, Hypoxie, röntgenologischen Lungeninfiltraten (nach Ausschluss einer Infektion, Thromboembolie, Lungenblutung, Überwässerung oder kardialen Ursache).
Leberfunktionsstörungen, eine Niereninsuffizienz oder eine transiente Enzephalopathie, wie bei Erwachsenen beobachtet, werden im Allgemeinen bei Kindern nicht beobachtet.
Zu den Risikofaktoren zählen:
- Hohe Zelldosis im Transplantat.
- Schneller Anstieg der Leukozyten.
- Periphere Blutstammzellen (PBSC) als Stammzellquelle.
- Autoimmunerkrankung als Grundkrankheit.
Differentialdiagnose und Früherkennung sind besonders wichtig, da Kortikosteroide eine wichtige Rolle bei der Beseitigung der Symptomatik bzw.
Behandlung der Komplikation spielen. Mit Gabe von Kortikosteroiden ist die Prognose üblicherweise gut, und eine vollständige Beseitigung der Symptomatik tritt in >80 % der Fälle innerhalb von 1 – 5 Tagen ein. Andernfalls kann diese Komplikation zu einer erhöhten Morbidität und Mortalität führen, wenn sie nicht angemessen und zeitgerecht behandelt wird. Das Engraftment Syndrom ist oft mit einer verlängerten Hospitalisierung verbunden und kann insofern problematisch sein, da es der Hautbeteiligung einer akuten Graft-versus-Host-Krankheit (GvHD) ähnelt, oder mit einem Kapillarleck (sog. „capillary leak syndrome“) bzw. einem nicht-kardiogenen Lungenödem verbunden sein mag. Selten kann das ES eine akute GvHD imitieren, indem es auch Leber und Gastrointestinaltrakt betrifft. Gezeigt wurde, dass Patienten mit einem Engraftment Syndrom wegen des damit verbundenen, persistierenden Fiebers häufiger eine empirische Pilzbehandlung erhalten, als das bei denen ohne ES der Fall ist. Bei Patienten, die wegen einer Multiplen Sklerose autolog transplantiert werden, kann die Entwicklung eines ES eine vorübergehende Verschlechterung der neurologischen Symptomatik zur Folge haben. Bei pädiatrischen Patienten geht das ES zudem mit einem erhöhten Transfusionsbedarf, der Notwenigkeit einer parenteralen Ernährung und einem erhöhten Risiko einer intensivmedizinischen Betreuung einher.
Schließlich haben Kortikosteroide auch eine präventive Funktion für das Engraftment Syndrom.
Pflege und Behandlung des Engraftment Syndroms bei HSCT-Patienten
Die erste Stufe der Behandlung eines ES ist die korrekte Diagnose
Hinweise für ein ES können sein:
- Anhaltendes Fieber trotz Antibiotika.
- Auftreten oder Wiederauftreten von Fieber zum Zeitpunkt des Engraftments.
- Fehlen eines eindeutigen Infektionshinweises.
- Hautausschlag zum Zeitpunkt des Engraftments (nach Ausschluss einer allergischen oder Medikamenten Reaktion).
- Schneller Anstieg der Leukozyten.
- Pulmonale Symptomatik (Lungeninfiltrate oder Hypoxie).
- Gelegentlich beobachtet: Gewichtszunahme und Leber-, Nieren- oder ZNS-Störungen.
Das Pflegepersonal sollte sich der klinischen Symptomatik eines ES bewusst sein und die Patienten bezüglich solcher Symptome sorgfältig überwachen.
Das Vorhandensein eines Risikofaktors (siehe obige Auflistung) sollte in der Krankenakte
vermerkt werden.
Wenn die Symptomatik des Patienten auf ein ES hindeutet, sollten folgende Maßnahmen
erwogen werden:
- Behandlung des Fiebers:
Fieber mit nicht-infektiöser Ursache ist ein häufiger Befund beim ES. Die pflegerischen Maßnahmen bei Fieber sollten den detaillierten Vorgaben folgen, wie sie im Kapitel „Behandlung von Fieber bei pädiatrischer HSZT“ beschrieben sind.Das Pflegepersonal übernimmt dabei eine wichtige Rolle zum Ausschluss einer infektiösen Ursache, indem es die kritischen Körperregionen untersucht, wie die Haut und Körperöffnungen (Mundhöhle, Anogenitalbereich). Aber auch eine Katheter-Infektion sollte ausgeschlossen werden, indem Katheter-Austrittsstelle und Katheter-Kanal untersucht und Blutkulturen nach ärztlicher Vorgabe entnommen werden. Auch sollte ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Fieber und Katheter-Gebrauch (z.B. Gabe von Flüssigkeiten oder Medikamenten) registriert werden, indem die diesbezüglichen, pflegerischen Aufzeichnungen durchgesehen werden. Auch andere Risikofaktoren für eine Infektion sollten in Betracht gezogen werden. Das gesamte Fieber-Management durch das Pflegepersonal sollte dabei institutionellen Standardanweisungen (SOPs) folgen.
- Behandlung des Hautausschlags:
- Die Haut eines Patienten/einer Patientin sollte einmal pro Schicht vom Pflegepersonal untersucht werden
- Die Art des Hautausschlags sollte dokumentiert werden, unter Einschluss von Lokalisation, Verteilung und Charakteristik des Ausschlags. Auch sollten zeitliche Veränderungen registriert werden, wie Zu- und Abnahme des Ausschlags oder Änderung des Charakters.
- Das Pflegepersonal sollte das ärztliche Personal über alle Hautausschläge und jede Verschlechterung unterrichten.
- Eine Hautbiopsie mag vom ärztlichen Dienst zum Ausschluss einer anderweitigen Ursache vorgesehen werden. In diesem Fall sollte das Pflegepersonal die nötigen Vorbereitungen treffen. Auch sollte es mit dafür Sorge zu tragen, dass sowohl die Erziehunhsberechtigten als auch der Patient/die Patientin über die Prozedur informiert wird und eine Einwilligung vorliegt.
- Die angemessene Hautpflege sollte den institutionellen Standardanweisungen (SOPs) folgen. Dabei mag die Anwendung von Feuchtigkeitscremes zur Vermeidung einer Hautaustrocknung nötig werden.
- Behandlung der pulmonalen Symptomatik
- Falls vorhanden, sollten Art und Ausmaß eines Hustens registriert und dem ärztlichen Dienst mitgeteilt werden.
- Die Bewertung und Dokumentation der Atemfunktion sollte folgendes beinhalten: Atemfrequenz, Atemcharakter (sowie deren Änderungen) und Zeichen einer Dyspnoe.
- Eine perkutane Sauerstoffmessung (Pulsoxymetrie) sollte angewendet werden.
- Blutgasanalysen sollten nach Maßgabe des ärztlichen Personals durchgeführt werden.
- Sauerstoffgaben mögen nötig sein, entweder per Maske oder Nasensonde, ggf. „high-flow“ Brille.
- Das Pflegepersonal sollte die Flüssigkeits-Ein-und -Ausfuhr sorgfältig überwachen, um eine Überwässerung zu vermeiden.
- Röntgen-Thorax Aufnahmen oder andere radiologische Untersuchungen können erforderlich sein. In diesem Fall sollte der Patient/die Patientin und die Erziehungsberechtigten informiert und die nötigen Vorbereitungen gemäß institutioneller SOPs getroffen werden.
- Alle ES-Patienten müssen sorgfältig überwacht werden, insbesondere wenn sich die respiratorische Symptomatik verschlechtert. Das betrifft auch die etwaige Notwendigkeit einer mechanischen Beatmung in enger Abstimmung mit dem ärztlichen Dienst.
- Das Pflegepersonal sollte alle Patienten hinsichtlich von Brustschmerzen überwachen und, falls vorhanden, umgehend den ärztlichen Dienst informieren.
- Elektrolythaushalt und Flüssigkeitsbilanz:
- Eine sorgfältige Überwachung von Ein- und Ausfuhr ist notwendig.
- Auch das Gewicht des Patienten/der Patientin muss täglich dokumentiert werden, da das Engraftment Syndrom mit einer Zytokinsekretions-bedingten Flüssigkeitsretention assoziiert ist.
- Auch wenn eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr notwendig ist, muss eine Überwässerung vermieden werden.
- Blutchemische Untersuchungen inkl. Elektrolyt- und Leberwerte sollten häufig nach Vorgabe des ärztlichen Dienstes veranlasst werden.
- Diuretika können nach ärztlicher Anordnung nötig werden.
- Bei einigen Patienten kann ein Durchfall Begleitsymptom des ES sein. Daher sollte das Pflegepersonal jede Stuhlausscheidung registrieren.
- Gabe von Kortikosteroiden:
- Die Applikation von Kortikosteroiden ist die Standardbehandlung eines Engraftment Syndroms. Steroide können intravenös oder oral nach Anweisung des ärztlichen Dienstes gegeben werden. Ein schnelles Ansprechen und ein Abfall des Fiebers innerhalb von 24 Std. sind üblicherweise zu verzeichnen.
- Dem Pflegepersonal sollte bewusst sein, dass Kortikosteroide mit Nebenwirkungen einhergehen, darunter besonders häufig Hypertonien, Hyperglykämien, Magenbeschwerden, Flüssigkeitsretentionen und Infektionen. In der Regel ist die Steroid-Behandlung des ES kurz, und somit sind Langzeit-Nebenwirkungen eher kein Problem. In seltenen Fällen kann der Steroidbedarf aber verlängert sein.
- Wichtig ist auch zu wissen, dass Kortikosteroide das Reaktivierungsrisiko von Zytomegalie- (CMV) und anderen Viren erhöhen und somit unter dieser Therapie eine enge Virusüberwachung (Surveillance) mit adäquaten Methoden (z.B. quantitativer PCR) stattfinden sollte.
- Auch das Risiko von Pilzinfektionen ist erhöht und erfordert entsprechende Überwachungsmethoden (z.B. durch Biomarker wie 1,3-beta-D-Glucan, Mannan oder Galactomannan)
- Eine antibiotische Prophylaxe oder prä-emptive, antimykotische und antivirale Therapien mögen nötig sein.
- Auch für die Kortikosteroid-Gaben sollten institutionelle SOPs vorliegen.
- Überwachung von immunsuppressiven Medikamenten:
- Nachdem Kortikosteroide die Blutspiegel der immunsuppressiven Medikamente zur GvHD-Prophylaxe (z.B. Ciclosporin A) verändern können, sind die regelmäßigen Kontrollen dieser Blutspiegel wichtig.
- Auch kann der inflammatorische Prozess, der mit dem ES verbunden ist, ein Trigger für eine spätere, akute GvHD sein. Von daher ist eine adäquate Dosisanpassung der Immunsuppressiva zur Vermeidung einer akuten GvHD auch unter diesem Aspekt von Wichtigkeit. Dabei sei nochmals daran erinnert, dass das Engraftment Syndrom bisweilen schwer von einer akuten oder hyperakuten GvHD zu unterscheiden ist. Das Pflegepersonal sollte also die Blutspiegel der Immunsuppressiva nach Verordnung bzw. Vorgabe institutioneller SOPs veranlassen, deren Ergebnisse wahrnehmen und ggf. bei Abweichungen umgehend dem ärztlichen Dienst zur Kenntnis geben.
- Nach ärztlicher Anordnung ist es eine kritische Aufgabe des Pflegedienstes, die Immunsuppressiva in der exakten Dosis und dem genau vorgegebenen Zeitintervall zu verabreichen.
- Sonstige Maßnahmen:
- HSZT-Patienten erhalten häufig den Granulozyten-Kolonie stimulierenden Faktor (G-CSF), um das Engraftment zu beschleunigen. Dies mag den klinischen Verlauf eines Patienten mit ES verschlechtern. Älteren Berichten zufolge stellt die G-CSF Gabe eine Prädisposition für ein Engraftment Syndrom und eine Lungenkomplikation nach Transplantation dar. Zudem mag die exogene Zufuhr von G-CSF kritische, endogene Zytokine stimulieren. Insofern sollte dem Pflegepersonal bewusst sein, dass bei Patienten mit Entwicklung eines ES unter G-CSF Gabe dieses Zytokin möglicherweise abgesetzt wird, vor allem wenn die Zahl der Neutrophilen einen schnellen Anstieg zeigt.
- Es kann auch sein, dass ein HSZT-Patient/eine HSZT-Patientin bei persistierendem Fieber Granulozyten-Transfusionen unter der Annahme eine Infektion erhalten hat. Ist die Ursache des Fiebers jedoch nicht infektiöser Genese, sondern ein ES, dann kann die Granulozyten-Gabe durch Zytokin-Freisetzung zu einer Verschlechterung des ES-Bildes führen. Andererseits bleibt es schwierig, eine infektiöse Ursache sicher auszuschließen, besonders wenn der Granulozytenanstieg nicht überzeugend für ein Engraftment Syndrom spricht. Es bleibt also eine kritische, ärztliche Abwägung, ob das G-CSF je nach klinischer Situation beibehalten oder abgesetzt wird.
- Das Pflegepersonal sollte zudem davon ausgehen, dass Antibiotika bei Diagnose eines ES ggf. beendet werden, wenn eine Infektion eher unwahrscheinlich erscheint. Dennoch werden die meisten Patienten mit persistierendem Fieber wegen des erwähnt schwierigen Infektionsausschlusses auch weiterhin Antibiotika erhalten. Am Ende wird das spezifische, klinische Bild des Patienten/der Patientin über die Anwendung einer antiinfektiösen Therapie entscheiden müssen.
Prävention eines Engraftment Syndroms:Es hat sich gezeigt, dass
eine Steroid-Prophylaxe das Risiko eines ES verringern kann. Vor diesem Hintergrund
mögen Steroide bei einer Risiko-Konstellation (siehe oben) sinnvoll sein. In diesem
Fall werden niedrigere Dosen entweder intravenös oder oral zwischen dem Tag +4 und
+14 verabreicht
Engraftment Syndrom in der Pädiatrie: Das Pflegepersonal einer
pädiatrischen HSZT-Einheit sollte sich darüber im Klaren sein, dass ein ES durchaus
zu einer erhöhten Morbidität und Mortalität auch bei Kindern führen kann, insbesondere
bei Patienten mit Risiko-Konstellation.
Literatur:
- Schmid I, Stachel D, Pagel P, Albert MH. Incidence, predisposing factors, and outcome of engraftment syndrome in pediatric allogeneic stem cell transplant recipients. Biol Blood Marrow Transplant 2008; 14(4):438-44.
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- Mossad S, Kalaycio M, Sobecks R, Pohlman B, Andresen S, Avery R, Rybicki L, Jarvis J, Bolwell B. Steroids prevent engraftment syndrome after autologous hematopoietic stem cell transplantation without increasing the risk of infection. Bone Marrow Transplant 2005; 35(4):375-81.
- Miano M, Faraci M, Dini G, Bordigoni P; EBMT Paediatric Working Party. Early complications following haematopoietic SCT in children. Bone Marrow Transplant 2008; 41 (Suppl 2):S39-42.
- Carreras E. Early complications after HSCT. In: Apperley, Carreras, Gluckman, Gratwohl, Masszi’s Haemopoietic stem cell transplantation. Paris: Europan School of Haematology; 2008. p. 180-196.
Interne Revision: Prof. Dr. Petr Sedlaçek, Karlsuniversität, Prag,
Tschechische Republik
Dr. Jaime Sanz Caballer, La Fe University, Valencia, Spanien
Externe Revision: Dr. med. Wolfram Ebell, Charité - Universitätsmedizin
Berlin, Berlin, Deutschland
Bearbeitet von Dr. med. Wolfram Ebell